Es ist nicht nur Farbe auf Leinwand. Zu den neueren Bildern von Ibrahim Coskun Die Bilder Ibrahim Coskuns haben eine starke Sogwirkung. Schon bei der ersten Begegnung mit ihnen werden wir von der Intensität ihres Ausdrucks gleichsam gefangen genommen. Diese Malerei ist expressiv, sie ist zugleich auch abstrakt, ohne jedoch inhaltsfern zu sein. Es begegnet uns eine bemerkenswerte malerische Qualität, die jenseits des Alltäglichen ist, die sich von Bild zu Bild steigert. ,,Erdbilder" nennt Ibrahim Coskun seine in den letzten zwei Jahren entstandenen Werke. Erde im buchstäblichen Sinn sehen wir in den Gemälden nicht, allerdings werden wir sehr bald gewahr, dass vieles mit Erde zu tun hat. Es ist die heimatliche Erde des Künstlers, die hier immer wieder im Vordergrund steht. Sie ist rauh, sie ist aufgewirbelt im Medium der Farbe, doch sie existiert als Faktum, als Motiv für den Maler. Diese Erde zeigt keine harmonisch gestimmte Landschaft, keine heile Welt, in die der Künstler zurückblicken mag. Alles erscheint von innen her unruhig, unbehaglich und auch beunruhigend. Der Blick des Betrachters folgt einem Pinselstrich und ebenso dem Duktus des Spachtels und versucht sich einzufinden in den Gehalt, den Charakter des hier Dargebotenen. Die Farbe bezeichnet konkrete Dinge wie Häuser oder Fragmente von Landschaft wie auch abstrakte Strukturen. Die Farbe äußert sich in diesen Werken mit aller Macht. Fast wäre man geneigt zu sagen, dass es dem Künstler auf eine Wiederbelebung abstrakt-informeller Strukturen geht, die wir aus der Malerei der 50er und 60er her bestens kennen. Doch wäre diese Interpretation einseitig, sie würde uns auf die falsche Fährte locken, würde Intention und Intuition des Künstlers nicht richtig würdigen. Ibrahim Coskuns Gemälde haben eine Substanz, die zum einen ihren Ursprung in seiner kurdischen Herkunft hat, zum anderen sich auf bittere politische Erfahrungen in der real existierenden Türkei bezieht. Es ist bekannt, dass die Provinz Tunceli, die sich in Mittelanatolien befindet und mehrheitlich kurdisch ist, in den 90er Jahren militärischen Operationen ausgesetzt ist. Auch Ibrahim Coskun ist von diesen politischen Bedingungen nicht verschont geblieben. Die Tatsache, dass mehr als die Hälfte seiner bisher entstandenen Gemälde vernichtet wurde, spielt nur die rein materielle Seite dieses Schicksals wieder. Das oben beschriebene Aufgewühltsein in den Bildern selbst ist also kein rein ästhetisches. Es charakterisiert die Innenwelt des Malers, der bisweilen traumatischen Geschehen ausgesetzt war. Seine Entwicklung hin zu einer expressiven Malerei ist daher nicht zufallsbestimmt, eher ist es eine Folgerichtigkeit. Die Entscheidung, sich so und nicht anders zu äußern, fordert uns daher allen Respekt ab. Ein malerisches Phänomen bestimmt nahezu alle Bilder dieser Serie: Es ist die Dialektik von Nähe und Ferne. Ibrahim Coskun zeigt Dinge wie Häuserzeilen zum einen sehr konkret, ja fast zum Greifen nahe, nämlich auf der vordersten Bildebene. Zum anderen erscheint ein gedankliches Einnehmen des Motivs gänzlich unmöglich. Die Dinge wirken fern, sehr entfernt vom Betrachterstandpunkt. Die Häuser wirken gespenstisch verloren in einer Art Albtraumwelt. Und umgekehrt das gleiche: Was fern erscheint, ist näher als zunächst angenommen. Diese malerische Strategie, dieses permanente Verschieben von Nähe und Ferne, ist Bestandteil der Bildästhetik von Ibrahim Coskun, ohne dass es bei der reinen Ästhetik bleibt. Die Welt der Sinne, die mit den Augen erfahrbaren Dinge, scheinen dem Maler in einem bestimmten Moment zu entfliehen, ein Festhalten scheint unmöglich, ist vielleicht auch gar nicht gewollt. Diese Beobachtung wird durch die Tatsache unterstützt, dass in keinem der Werke - nicht einmal in angedeuteter Weise - Menschen auftauchen. Die Erde, die Häuser, die Landschaft sind verlassen, im bildlichen Sinn ist ausschließlich die Farbe existent. Die Farbe bestimmt die Stimmungswelt des Malers, und zwar mit einer Ausschließlichkeit, die überwältigend ist. Und die Farbe peitscht, vornehmlich in jenen Werken, in denen die Abstraktion besonders fortgeschritten ist. Rot, Blau, Gelb, Grün und Weiß vemischen sich hier zu einer dichten Farbwelt, die für den Maler - und ebenso für den Betrachter - ein Entkommen nicht ermöglicht. Die Farbe wirbelt gleichsam ihr inneres Wesen auf, es blitzt und donnert gleichermaßen, und buchstäblich ist jeder Fleck Bestandteil einer Farbflut. Bei den Werken, in denen Rot dominiert, liegt der Gedanke an ein Inferno nahe. Wenn Blau sein gewaltiges Gewicht ausbreitet, hat man den Eindruck, dass eine große Wasserflut diese Bildwelt unbewohnbar macht. Auch wenn gedämpfte Farben im Vordergrund stehen, so meine man ja nicht, dass harmonische Welten vor uns ausgebreitet werden. Oft hat man bei den Werken, die aus rosa-gelb-weiß-Tönen bestehen, das Gefühl, dass hier die sichtbare Welt buchstäblich weggefegt wurde - eine sehr persönliche Sicht des Malers auf innere wie äußere Ereignisse. Es ist nicht nur Farbe auf der Leinwand. Farbe bedeutet für Ibrahim Coskun Existenz. Diese »Erdbilder« sind in Gänze Stimmungsbilder. Sie haben eine aufrührende Ästhetik, sind schrecklich schön. Wer der reinen Farbästhetik folgen mag, wird von ihr aufgesogen - dies ist ein Teil der Identität dieser Gemälde. Wer von der Radikalität dieser Werke emotional betroffen wird, hat eine weitere Dimension entdeckt. Die Bilder Ibrahim Coskuns fordern. Sie lassen weder unser Gefühl noch unser Gewissen einfach vorbeiziehen.
Tayfun Belgin
Tayfun Belgin, geboren 1956 in Zonguldak/Türkei, ist Direktor des Osthaus Museum Hagen.
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Erdspuren
Es ist eine Frage des Betrachtungsstandpunktes: Manche Ruinen sind vornehme Zeugen einst blühender Kulturen, andere bloße Spiegel von Zerstörung und Flucht. Einige sind unsichtbar, schlummern erdbedeckt zu unseren Füßen. Diese sucht man, jene flieht man. Einige verbergen Schätze, andere ausschließlich tiefes Leid. Ibrahim Coskun kennt sich seit frühester Kindheit aus mit Ruinen. Und mit der Erde, die sie umfängt. Dem kleinen kurdischen Bauernsohn sind sie Rückzugsort und Spielsache zugleich. Keine amour fou entsteht da, sondern eine rückhaltlose Liebe, die, das spürt er, ein Leben lang nicht sterben wird. Die staubigen Äcker rund um seinen Heimatort Tunceli bergen Altertümer, die in den 50er Jahren noch niemanden interessieren. Ihn schon. Mit bloßen Händen gräbt er nach dem Gold seiner Phantasie. Und tatsächlich: Er findet einen realen Schatz, von dem er hofft, er werde seinen sorgengeprüften Eltern mehr Liebe entlocken. Doch der Bronzekrug mit dem zierlichen Figurinengriff enthält nur Asche. Die Mutter tauscht den Schatz gegen einen Korb aus Plastik. 'Erdbilder' nennt Ibrahim Coskun seine zwischen 1997 und 1999 entstandenen Arbeiten. Das ist sein ganz persönlicher Arbeitstitel, offiziell trägt kaum eines seiner Werke einen Namen. "Ich bin wie damals auf der Suche nach Strukturen von Erde, nach dem, was sie vor mir geheim hält." Hin und wieder gelingt es ihm, eines dieser Rätsel zu entschlüsseln. Dann bekommt der Begriff 'Erde' auf der Leinwand eine haptische Qualität, wird dreidimensional, lebendig. Ein Strudel von Sehnsüchten öffnet sich dem Betrachter, dessen stärkster Sog ein Verlangen nach Berührung ist. Ahnend, dass unter der Anmut der Farben noch ein anderer, metaphysischer Schatz liegt. Es muss ein Triumph sein, nach Jahrzehnten der Erforschung des eigenen künstlerischen Ich Schatzsucher und -wächter in einer Person zu sein? Ja und nein. Er würde von etwas anderem malen, wäre da nicht dieser unauslöschbare Drang nach dem Konstruktiven, dem Wiederaufbau, der inneren Rückkehr aus dem äußerlichen Exil. Zurück in eine Heimat, die eigentlich nie so recht eine war. Coskun mag es nicht, wenn manche seine Arbeiten als pure Sozialkritik interpretiert werden. Ein Artefakt, sagt er, sei das. "Ich male, was ich sehe und gesehen habe. Diese Bilder trage ich in mir: Viele davon sind eben keine schönen Erinnerungen." Punkt. Punkt? So emotional entladend und therapeutisch für den Künstler sie auch sein mögen, so eindeutig beschreiben manche Arbeiten jedoch auch einen politischen Status quo. Entvölkerte Dörfer, verwaiste Häuser - Coskun skizziert ein Kurdistan, das, sollten die Verhältnisse sich nicht ändern, ausschließlich Geisterstädte beherbergt. Ruinen aus Stein und versteinerte heimatlose Seelen. Hasspotenzial satt für unzählige Generationen. Coskun ist ein kämpferischer Mensch, der jede Gewalt verabscheut. Ein sanftmütiger Charakter nach außen, von heute seltener, angenehmer Nachdenklichkeit. Kein Konflikt, der sich nicht durch Kommunikation lösen ließe, so glaubt er. Ja, das gilt auch für Probleme von globaler Größenordnung. Ein Dialog mit ihm erlaubt Besinnung; die Zwiesprache mit seinen Bildern verursacht indes aufrührerische Ruhe. Ich bin in seine Bilder gelaufen, wie man auf einen lange vermissten Freund stößt. Zufällig, ohne Absicht, versunken, auf dem Weg zu etwas völlig anderem als Kunst. Zuerst habe ich sie gerochen, den schweren Atem von Öl auf Leinen. Pure Neugier hat mich an der Ateliertür klopfen lassen. Seither verbindet uns so etwas wie Freundschaft, die Bilder, den Maler und mich. Vielleicht hatte es mit der Leichtigkeit dieses Sommertages zu tun, der so anders war, als das Gros des deutschen Alltags: sonnig, heiß, prall von entschlossener Lebensfreude. Dass das Klima die Farbwahl bestimmt, der Energielevel, die kreative Kraft - schon wieder ein Klischee. Coskun hatte mehr als ein halbes Leben lang Zeit, sich an die vier Jahreszeiten zu gewöhnen. Dennoch, für seine Arbeit sind sie nach wie vor von zentraler Bedeutung. Spielt das Wetter nicht mit, wird das Malen nicht selten zur körperlichen Tortur. Der kreative Output ist ein anderer, und das ist wertfrei gemeint, denn manche solcher Tage provozieren Arbeiten von besonderer Emphase. Dass es sein muss, das Malen, steht dabei außer Frage: Coskun beschreibt seine Arbeit als "eine Art Sucht". Nach zwei atelierlosen Tagen kämpft er mit Entzugserscheinungen. Eine Hörigkeit, die gepflegt sein will, die er mit großer Disziplin von einem zum anderen Exzess treibt. Die Sucht ist ihm kreativer Motor - Disziplin ist Produktivität. Doch Disziplin ist auch Handwerk: Ohne die ständige, fortwährende Auseinandersetzung mit den Gegenständen bildender Kunst, dem Material, der Theorie, dem Zeitgeschehen, das weiß Coskun, hätte er nie zu seiner heutigen Ausdrucksstärke gefunden. Also wird man doch nicht als Künstler geboren? Vielleicht schon, zum Teil, aber es ist alles eben auch eine Frage der Möglichkeiten. Im Kurdistan der zweiten Jahrhunderthälfte waren die Möglichkeiten gleich Null. Um so mehr wächst die Hochachtung vor der, im besten Sinne kosmopoliten Bildersprache Ibrahim Coskuns. "Ein Bild ist zuerst ein Bild und dann ein Thema." Ein Satz, der stutzen lässt, vermutlich aber für nahezu alle Arbeiten Coskuns gilt, mit Ausnahme vielleicht der als Wutkompensation gemeinten Serie 'Die wahren Gesichter der X'. Nicht von ungefähr eine der wenigen betitelten Serien, in der er überdies, wie sonst nur selten, der Abstraktion entsagt. Coskuns Arbeiten sind eigenständig, auch wenn sie Teil einer Reihe sind. Die einzelnen Fragmente einer Arbeit besitzen eine Dinglichkeit, die thematisch wirkt, zumindest in der Phantasie des Betrachters. Wenn aber ein Bild zuerst ein Bild ist und erst in zweiter Instanz ein Thema, wie - und warum - entsteht dann das Thema? "Manchmal ist es sofort da, manchmal erst nach Tagen." Wie in frühester Kindheit sucht Coskun heute noch nach Strukturen und Konsistenzen. Erst wenn die entdeckt sind, kann er sie bearbeiten, nach seinem Belieben formen und verändern. Nach manch einer Sequenz stellt er fest, dass es das déjà-vu einer Landschaftsfacette war, das ihn getrieben hat, oder vielleicht ein Gefühl diffuser Ohnmacht. Trotzdem: Auch ein einmal gefundenes Thema ist nur eine Phase. Ein Thema muss für mehrere Bilder taugen, sonst befriedigt es ihn nicht. Phasen haben naturgemäß einen Anfang und ein Ende. Der Bilderfundus, den Ibrahim Coskun noch in sich trägt, ist endlos. Ein Archäologe hat Coskun vor einigen Monaten erzählt, dass die Bronzeurne seiner Kindheit ein kleines Vermögen wert war. Gerade weil sie nur Asche enthielt. Der Wert eines Schatzes, eines Bildes, einer Ruine? Letztlich alles nur eine Frage des Betrachtungsstandpunktes.
Birgit Kahle
Birgit Kahle, geboren 1960 in Pinneberg, lebt als freie Journalistin und Autorin in Bielefeld. |
"Nein, Kunst hat es da nie gegeben."
"Nein, Kunst hat es da nie gegeben", sagt er über das Dorf im Osten Anatoliens, wo er aufgewachsen ist. Aber was viel schlimmer ist: dort gibt es inzwischen kaum mehr Leben. "Der Ort ist halb ausgestorben, mit Ausnahme der Alten sind sie fast alle weg." Fast dreißig Jahre ist es her, da Ibrahim Coskun seine dersimer Heimat verließ und als 'Gastarbeiter' nach Deutschland ging; fast zehn Jahre, da er letztmals sein Dorf besuchte, das Heimat zu nennen nur Erinnerung meint und Trauer über ein verlorenes Gut. In seinem Innersten lebt es weiter und artikuliert sich in den Bildern des längst zu einem Bielefelder gewordenen Künstlers. Wenn er sagt: "Ich male meine Heimat", ist dies allerdings nicht so gemeint, wie es leicht aufgefasst werden kann. Heimat ist hier nicht eine konkrete, äußerlich identifizierbare Örtlichkeit, nicht Gegenstand plakativer Darstellungen in aufklärerischer oder anklagender Absicht; davon hat Coskun nach und nach Abstand genommen. Es besagt vielmehr ein inneres Verständnis, meint Heimat, wie er sie - auch in aller Zerrissenheit - in sich hat, wie er sie fühlt, sich an ihr abarbeitet, um zu (über)leben in der ihm verbliebenen Heimatlosigkeit. Dies ist es, was er symbolisch zu 'beschreiben' sucht in der Sprache abstrakt-expressionistischer Malerei unserer Zeit. Erst darin hat er die Freiheit gefunden, sich adäquat zu artikulieren. So gesehen sind es Bilder von Heimat als Ort seiner Seele - "Mitteilungen meines Innersten", wie er selber sagt. So sehr auch motiviert und geprägt von seiner konkreten Biographie, seiner Identität als Dersimer, seiner Erfahrung von Verfolgung und Exil, will Ibrahim Coskun sie in einem allgemeinen, einem gewollt verallgemeinernden Sinne verstanden wissen: Wenn seine Kunst für etwas steht, dann für die existenzielle Befindlichkeit eines von Verwurzelung wie Entwurzelung gleichermaßen gezeichneten Menschen wie ihn. Es ist dies ein Standpunkt künstlerischer Autonomie in einem gleichwohl politischen Kontext. Ibrahim Coskun hat ihn sich schrittweise erarbeitet, nachdem er die Grenzen gespürt hatte, an die er mit politisch-plakativer Kunst - ein ihm lange selbstverständlicher Anspruch - gestoßen war: die Grenzen, die die sich entwickelnden künstlerischen Artikulationsbedürfnisse setzten. Als Künstler will er nicht mehr einer Sache, sondern sich selber 'dienen'. Das ist nicht eine Abkehr von der Sache, sondern ein Zugewinn an persönlicher Freiheit, ohne die sich doch für kein politisches Anliegen einzusetzen lohnt. Ibrahim Coskun nimmt dafür in Kauf, Erwartungshaltungen zu enttäuschen, die ihm gegenüber, dem dersimer Künstler, oft geradezu kategorisch geltend gemacht werden. "Landsleuten ist das viel zu abstrakt", sagt er; die wollen in den Bildern etwas Konkretes erkennen oder wiederfinden - gerade bei "einem von uns", von dem sie eine sichtbare Parteinahme wünschen. Aber auch in seiner deutschen Umgebung ist er auf Unverständnis gestoßen: "Warum malt der, wo er doch Dersimer ist, so oder so ähnlich wie viele andere auf der Welt? Wo bleibt das Besondere bei ihm?" Dies verweist nicht nur auf jenen sozialen 'Entfremdungsprozess', wie er im Grunde alle moderne Kunst betrifft, die sich mit je eigener, autonomer Bildsprache dem Normierungsdruck herkömmlicher Darstellungs- und Wahrnehmungsmuster widersetzt. Bei Ibrahim Coskun ist es überdies der Status als verfolgter und zur Emigration gezwungener Dersimer, unter dem er oft nur gesehen wird. Es manifestiert sich - und sei es nur unterschwellig - in der Zuschreibung von Merkmalen, die man bei ihm sehen will, von einer ihm angeblich doch gemäßen Rolle, die er auch als Künstler zu spielen habe. Deshalb bekommt er mitunter solche Fragen gestellt, wie sie einem deutschstämmigen Künstler wohl nie gestellt würden; da dürfte niemand darauf insistieren, dass in dessen Malerei irgendein Stück Deutschland oder Deutschsein thematisiert sein müsse. Zweierlei Funktionalisierungstendenzen sind es mithin, derer sich Ibrahim Coskun zu erwehren hat. Er tut es geradezu kompromisslos, allein seiner Intuition folgend, seinem unruhigen Drang, innere Bilder, Empfinden, Stimmungen aus sich herauszulassen und ihnen Formen und Farben zu geben. "Ich explodiere manchmal, wenn ich vor der Leinwand stehe", sagt er und fügt hinzu: "Wenn ich das nicht könnte, würde ich krank werden." Die Stille und Ordnung, die sein Atelier ausstrahlen, mögen auf den ersten Blick gar nicht dazu passen. Es ist eine gewisse Abgeschiedenheit, die Coskun gewählt hat, vielleicht auch braucht - teilweise aber auch eine, die ihm die Gegebenheiten aufzwingen. So recht zuhause fühlt er sich in keiner Kunstszene - weder in der des Verbands Dersimerr Künstler noch in irgendeiner der hiesigen Künstlervereinigungen. Selbst dass er dann und wann Käufer findet für seine oft großformatigen Bilder, scheint ihm - bei aller materiellen Angewiesenheit - nicht ganz geheuer. Es könne doch sein, meint er zweifelnd, "dass die was ganz anderes daran interessiert, als mich selber interessiert hat, als meine Motive, meine Geschichte, meine Heimat". Um dann achselzuckend einzuräumen, dass man dem wohl nicht entgehen könne, wenn man vom freien Markt lebt, der auch der "freie Markt der Interpretationen" ist. Es ist ohne Alternative und also ein mühsames 'Geschäft', sich als freischaffender Künstler zu platzieren. Heimat wird Ibrahim Coskun nur in und mit sich selbst finden.
Niko Ewers
Niko Ewers ist Journalist. Er arbeitet als Redakteur des "StadtBlatt" in Bielefeld und ist Mitglied im Kulturausschuß OWL.
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Tayfun Belgin schreibt in das Ibrahim Coskun Katalog " Versteinerte Lieder"
Es war Friedrich Nietzsche, der sich bezüglich des Sichtbaren so äußerte: „Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen“ (Nachgelassene Fragmente, 1887 – 1889). Der bedeutende Philosoph empfand die Wirklichkeit als hässlich; er folgerte für sich eine ästhetische Umwertung des als real Wahrgenommenen: in der Kunst. Diese Wirklichkeitsaneignung mag grosso modo auch für den in der Provinz Dersim (ehemals: Tunceli), Türkei, geboren Ibrahim Coskun gelten. Seine Erfahrungen, vor allem diejenigen im Land seiner Geburt, die nicht nur für ihn, sondern auch für Verwandte und Freunde von Gültigkeit waren, sind von einer Weise, die niemand von uns erleben möchte. Die Kunst brachte auch für ihn eine Katharsis; Malerei wurde ab einem bestimmten Punkt in seiner Biographie zu einem Hauptweg – bis heute.
Seine in diesem Katalogbuch abgebildeten Werke der letzten Dekade zeugen von einer sehr spezifischen ästhetischen Umwertung des Gesehenen. Diese Arbeiten tauchen in eine durch landschaftliche Kargheit und Architekturfragmente charakterisierte Welt ein, die Coskun schon von Anbeginn faszinierte. Er begegnet dieser wenig romantischen Landschaft mit einem sehr offenen Auge und schaut in sie und ihre Geschichte.
Von den Hatti um 2000 v. Chr., später den Hethitern, Urartäern, Griechen, Armeniern, Persern bis zu den seldschukischen Türkenstämmen und Kurden kennt Anatolien sehr unterschiedliche Kulturen, die das Land durch die Jahrtausende prägten. Eine Betrachtung der Geschichte Kleinasiens ist daher nicht nur für Ur- und Frühhistoriker von Interesse sondern auch für diejenigen, die sich für das kulturelle Erbe der Region interessieren. Ibrahim Coskuns Kunst ist ohne diese Kulturlandschaft nicht denkbar, auch wenn er in seinem Berliner Atelier mehr als 3000 km entfernt arbeitet. Seine Reisen in die Provinz Dersim und durch Anatolien sind alljährliche Arbeitsaufenthalte, die mit einem Urlaub gewöhnlicher Art nichts gemein haben.Auf seinen Reisen erlebt Coskun die uralte, überzeitliche Geschichte der Landschaft, die er von Kindertagen an als einen Teil von sich wahrgenommen hat. Diese intensiven Gefühle und Erlebnisse tauchen später im Atelier in den Leinwänden wieder auf. Coskuns Intuition trägt ihn durch die Zeit hindurch. Dersim und die Dersimer Bevölkerung waren seit Hunderten von Jahren ein Dorn in den Augen des Osmanischen Reiches und später auch in der Türkischen Republik. Im Jahre 1514 begann der Caldiran Krieg zwischen dem Osmanischen Reich und Persien. Nach dem Sieg der Osmanen war die Dersimer Bevölkerung die einzige, die ihre Identität nicht aufgegeben hat. Die Folge war, dass Zehntausende Dersimer wegen ihres Glaubens massakriert wurden. Seit dieser Zeit hält die Vernichtungspolitik gegenüber den Dersimern an, selbst nach der Gründung der Türkischen Republik, bei der allen Minderheiten Gleichheit zugesichert wurde.
In den Jahren 1937/38 wurden infolge der Verweigerung Seyyid Rizas, dem Führer eines Stammes in der Region, gegenüber den Türkisierungsversuchen Tausende von Menschen durch Luftangriffe und andere gewalttätige Methoden der Unterdrückung getötet. Bei den Luftund Bodenangriffen sowie den anschließenden Exekutionen in diesem Massaker kamen nach offiziellen Angaben mehr als 10.000 Dersimer um, andere Quellen nennen Zehntausende Tote. Etwa eine gleiche Zahl wurde in den Westen der Türkei deportiert, das Elend der Zurückgebliebenen, die Hunger und Krankheiten ausgeliefert waren, ist unbeschreiblich. Die Provinz erhielt nach den Vorfällen den türkischen Namen Tunceli (Tunc=Bronze, eli=Hand).
In den 1980er Jahren, vor allem mit der Annahme der neuen durch das Sicherheitsdenken der Militärs geprägten Verfassung, entzündete sich bald eine Art Bürgerkrieg im Osten des türkischen Staates. Armee und Regierung der Türkei führten gegen die PKK und die türkischen Linksradikalen einen erbitterten Krieg, der auf Lebens, ruinierte Städte und zerbrochene Seelen blieben zurück. Die Erinnerungen an diese Ereignisse können nie vergessen werden, ebenso wenig wie jene an das historische Massaker, über das heute öffentlich gesprochen werden kann. Tunceli ist im Bewusstsein heute wieder Dersim. Und es gibt viele Dersimer, die das erlittene Leid ihrer Vorfahren nicht allein der Geschichte anvertrauen, sondern handeln und darauf aufmerksam machen.
Ibrahim Coskuns Werke beanspruchen diesen historischen wie zeitgeschichtlichen Kontext. Allein, sie sind keine Dokumente für dieses oder jenes Ereignis. Der Maler setzt seine ihm zur Verfügung stehenden künstlerischen Mittel ein, um sich an den Orten der Vergangenheit, die heute seine Gegenwart sind, bewusst zu werden, in welcher Beziehung er zu ihnen steht. Aus der kunsthistorischen Distanz gesehen können wir diverse Kategorien von Bildmotiven bestimmen: Neben den Architekturbildern, die zumeist antike Ruinen oder durch Nebelschleier gesehene Reste von baulichen Ensembles zeigen, finden wir Werke, die sich intensiv dem einst bevorzugten Baustoff dieser Region widmen: den Steinen. Sie wirken wie große steinerne Figuren, die ihre Sprache verloren haben und uns Betrachter fragend anschauen, dem Anschein nach sind es versteinerte Äußerungen. Es ist ein kleiner emotionaler Schritt unsererseits, in diesen Steinbildern einen geschichtlichen Kosmos zu verspüren, der sich auf das lange, bisweilen von großem Leid geprägte anatolische Leben bezieht. Ein Blues, der heute noch nachwirkt, in der Sprache, in der Musik, im Alltag.
Coskun ist ein Kämpfer mit der Farbe. Alle expressiven figurativen Werke werden in einem geistigen wie emotionalen Prozess errungen. Ohne Frage offenbaren alle hier abgebildeten Werke eine Gefühlsdimension, die ihresgleichen sucht. Der Maler bevorzugt Rot, Blau, Gelb und Weiß, bisweilen kommen grüne und ockerne Töne hinzu, die assistierend wirken. Die drei genannten Grundfarben bestimmen eine Bildwelt, die sich abstrakt und ausdrucksstark definieren kann. Auch solche Bilder finden wir bei Ibrahim Coskun, Werke, die keinen unmittelbaren Bezug zu einem Gegenstand oder Motiv haben. Ebenso können diese Farben eine emotionale Zerrissenheit offenlegen. So wie Ibrahim Coskun seine Farben wählt, sie pastos auf der Leinwand agieren lässt, schafft er Welten, die eine westliche Malerei im zeitgenössischen Kunstkontext nicht kennt. Diese Bilder haben eine biographische Matrix. Sie sind die Essenz einer inneren Welt, die schrittweise nach außen dringt.
An diversen Motivfindungen wird dies deutlich. In den Architekturbildern versperren Steine und Türen die Sicht ins Innere. In sie können wir nicht eintauchen; die Gefühlswelt verschließt sich. Häufig werden Fragmente aus vergangener Zeit zitiert. Diese beziehen sich auf die reiche Besiedlungsgeschichte Anatoliens wie oben kurz schon angedeutet. Neben griechischen Tempelresten – bisweilen sieht man auch eine Akropolis – existieren auf gleichem Boden armenische Fragmente. Wenn der auf dem Gemälde aufliegende Nebel den Blick freigibt, werden Burgreste sichtbar. Eine reiche Welt begegnet uns hier, die allerdings durch die malerische Distanzsetzung undurchdringlich bleibt. Jahrhundertelang haben Bewohner der umgebenden Dörfer ihre Häuser mit antikem Material aufgebaut oder zumindest dekoriert. Sie selbst agierten auch als Handelnde in der Geschichte und gestalteten sie auf ihre Weise
Zu Ibrahim Coskuns Kindheitserlebnissen gehört das Spiel in den Ruinen der in die Felswände gehauenen Häuser, ganz ähnlich denen, die man in der Gegend Kappadokiens findet. Auch in die Dersimer Gegend haben sich seinerzeit armenische Christen vor den Angriffen anderer Religionsgemeinschaften geflüchtet, die in Anatolien Fuß fassten. Der Maler Coskun hat sich mit Vorliebe in seiner Kindheit vorstellen können, wie das Leben dieser im Fels beheimateten Menschen ausgesehen haben könnte. Seine Fantasie nahm ihn auch hier mit auf eine Zeitreise in die Vergangenheit. Auch von diesen Erlebnissen zeugen seine Bilder.
Landschaftsbilder, so gilt es festzuhalten, sind eine absolute Stärke des Malers Ibrahim Coskun. Landschaft ist hier im besten Sinne auch Gefühlslandschaft. Landschaft bezeichnet den Boden, zugleich auch die Erinnerung. Häufig sehen wir starke Brüche in der Landschaft. Es sind daher keine vordergründig romantischen Landschaftsmotive, die uns in dieser Malerei begegnen.Landschaft ist Heimat, zugleich auch eine Aufzeichnung jenes emotionalen Bruches, der durch militärische Operationen verursacht wurde. Viele Menschen kehrten nach Jahrzehnten des Kriegs zurück in ihre ehemalige Heimat und fanden eine verseuchte Umwelt wieder. Ibrahim Coskun spricht nicht nur für sich, wenn er diese karge Landschaft mit der Hinterlassenschaft des Kriegs in eine ästhetisch zu bewältigende Welt formt. Die Erfahrungen anderer finden subkutan Eingang in diese Bildwelt.
Bisher in dieser intensiven Formulierung nicht bekannt waren mir jene Bilder, in denen ein X vorkommt. Dieses überdimensionale X-Motiv ist offensichtlich symbolisch gedacht. Ein X kann für eine Auslöschung stehen, wir kennen dieses aus dem Alltag, in dem wir ein X auf einen erledigten Text setzen, ein harmloser Akt. In diesen Bildern ist das X ein Superzeichen. Das X legt sich seine Macht betonend auf eine Felsenwand, zu übersehen ist es nicht. Es ist definitiv ein Zeichen der Auslöschung. Die Felswände, auf die es von Ibrahim Coskun gesetzt wird, geben von sich aus keinen Blick frei, der Weg wird versperrt, möglich, dass im Inneren etwas Grausames stattgefunden hat. Im Bild Nr. 140 befindet sich eine X-Form einer Windmühle ähnlich auf einer Anhöhe, unter dem Mast, der dieses Symbol trägt, liegen möglicherweise Menschen in Leinentüchern, also Tote. Ein Schriftzug auf diesem Bild lässt uns wissen: „Tötet diese Menschen nicht, lasst sie nicht untergehen.“ Das X ist auch ein Symbol für die Unfähigkeit derjenigen, die die Einwohner dieser Gegend in Gänze ausrotten wollten. Bisweilen hat man die Häuser mit einem X markiert, um deren Bewohner zu vernichten.
Menschen sind bei Ibrahim Coskun üblicherweise selten ein Thema. Wenn es Menschenbilder gibt in seinem Werk, so sind diese Arbeiten zutiefst berührend.
Ein beeindruckendes Werk ist jene Arbeit, in der drei Menschen auf einem Felsen sitzen. Sie sehen sich einen Baum an, der ebenso wie sie in Weiß eingetaucht ist. Es scheint so etwas wie eine Schicksalsgemeinschaft zu sein. Es entsteht der Eindruck, dass dieses U-förmige Tor sie in eine spirituelle Welt versetzt, in der sie willkommen sind. In einigen Gegenden Anatoliens, auch in Dersim, wird eine bestimmte Art der schamanistischen Kultur fortgelebt. Schon bei den Hetitern kam der Bedeutung für Natur im Allgemeinen und Sonne und Wasser im Speziellen eine große spirituelle Rolle zu. Die am Wasser gelegenen „Wunschbäume“, gekleidet in reinweiße Tücher der Hoffnung und des Bittens mögen ein weiterer Ausdruck für die Verbindung der Menschen untereinander sein.
Vergleichbar mit dem oben erwähnten Werk ist Nr. 332. Baum und Felsen bestimmen als Makroeinheiten die Szenerie, in der sich eine Gruppe von Menschen von links nach rechts bewegt. Der Baum rechts teilt offenbar beide Gruppen voneinander, die sich sehr friedlich aufeinander zu bewegen. Diese Szenerie wirkt fast biblisch. Der Baum ist durch Früchte wunderbar farblich dekoriert, Bewegungen und Gebärden dieser Menschen sind unzweifelhaft friedlich.
Ganz anders hingegen ist das Gemälde Nr. 344, in dem wir im oberen Drittel einer schlafenden Frau begegnen. Ein Bild, welches in Erinnerung an die Leidensgeschichte der armenischen „Gelben Braut“ entstanden ist – das Leid einer Frau in einer von Menschen nicht mehr bewohnten Gegend. Sie ist zugedeckt mit einer Decke, unter ihr ein in den Abhang eines Berges platziertes Dorf mit weißlichen Häusern, ohne irgendeinen Menschen. Diese junge Frau träumt, ihr Ausdruck ist sehr sanft. Eine zarte Gestalt, die als eine traditionelle Mutter Erde Anatoliens dargestellt ist. Doch wie wird ihr Traum ausgehen? Im Kontext der bisherigen Bilder Coskuns scheint dieser Ausgang auf der Hand zu liegen.
Ein Rodinsches Motiv offenbart sich im Gemälde Nr. 347. Eine Gruppe von Frauen stellt sich schützend vor ihre Kinder. Gefahr ist im Verzug, diese Kinder sollen verschleppt werden – das ist die Nachricht. Die Familien werden auseinandergerissen, ein bildliches Ereignis, dass an die Gräuel von 1915 erinnert. Entsetzt stehen sie vor einem aufwühlenden gelben Hintergrund, sie selbst in Grün-Gelb und Blau. Der Gruppe ist zur rechten Seite ein rotes X eingeschrieben, was auf keinen guten Ausgang hindeutet.
Ibrahim Coskuns Gemälde sind oft verschlüsselt. Der Maler verlangt von uns als Betrachtern eine intensive Auseinandersetzung mit seinen Arbeiten. Man kann an diesen Bildern nicht einfach vorbeiflanieren. Es sind kostbare Werke, die all denen eine Stimme geben, die unterdrückt sind.
Tayfun Belgin
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